Esther, 42, Leiterin Frontend-Entwicklungsteam und Spezialistin für Inclusive Design

Der Beginn von Esthers Transition liegt bereits über 20 Jahre zurück. Anfangs bi-binär (in einer männlichen und weiblichen Geschlechterrolle zugleich) lebend, ist Esther heute sehr glücklich mit ihrer weiblichen Identität. Sie ist 42 Jahre und arbeitet als Leiterin des Entwicklungsteams und Spezialistin für Inclusive Design bei einer Firma, die Webseiten erstellt.

Ihr Coming-out hat sie zu Beginn ihres Studiums der Philosophie, Volkswirtschaftslehre und Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Davor musste sie eine tiefe Identitätskrise und depressive Phase erleben, bevor sich der Nebel lichtete, und sie erkannte, dass sie sich der Welt als Frau präsentieren will. Mit der Hoffnung, die Welt in Zukunft nicht mehr nur erdulden, sondern auch mitgestalten zu können, geht sie dann ab dem ersten Tag als Esther zur Uni. Als einzige (ihr bekannte) trans Person. Bestärkt durch gute Freundschaften und ihr politisches Engagement, wird Esther grösstenteils so akzeptiert, wie sie ist. Heute würde Esther weniger «entschuldigend» auftreten, aber per se war dieses Coming-out sehr erfolgreich. Von Freund_innen wird sie konsequent und selbstverständlich immer als Esther vorgestellt. Sie wird in einer feministischen Gruppe miteinbezogen und es wird ihr signalisiert, dass sie dazugehört. Sich nicht mehr als Freak und Aussenseiterin zu fühlen, das ist der schönste Moment dieses Coming-out-Prozesses.

Die Uni-Bürokratie stellt eine Herausforderung dar: Esthers alter Name wird auf der Legi und auf allen offiziellen Dokumenten verlangt. Die Begründung ist, dass das Informatiksystem eine Anpassung nicht zulässt. Das führt zu Zwangsoutings anlässlich von Prüfungen und beim Essenholen in der Mensa etc. Es gibt jedoch auch unterstützende Begegnungen mit Angestellten der Uni: Esthers Professor, bei dem sie ihre erste Proseminararbeit schreibt, findet ihren Vorschlag, über John Stuart Mill zu schreiben und darüber, wie er wohl heute die Frage von trans Menschen in der Gesellschaft beurteilen würde, sehr gut. Sie bekommt die Bestnote für diese Arbeit. Der Professor gibt klar zu verstehen, dass er fachlich und menschlich hinter ihr steht. Das berührt Esther noch heute sehr. Ein weiterer empowernder Moment ist, als Esther für den Studierendenrat kandidiert und sich die damalige Präsidentin des Rates für sie einsetzt, dass sie als Esther kandidieren kann. Dank des Einsatzes der damaligen Präsidentin ist das dann auch möglich.

Für Esther hat sich durch ihr Coming-out viel verändert: Sie fühlt sich nicht mehr länger ins geschlechtliche Niemandsland abgedrängt, sondern kann, zusammen mit anderen Menschen, «Strukturen und das Narrativ der Welt verändern», wie sie resümiert.  «Heute kann ich am Arbeitsplatz nicht nur offen über meine Geschlechtsidentität, sondern auch über meine Beziehungen, Sexualität, Lebenseinstellungen, Diskriminierungen reden, bei denen ich vorher immer das Gefühl hatte, dass etwas an mir falsch ist und ich nicht das Recht habe, solche Sachen zu thematisieren.»

Anderen trans Menschen gibt sie bestärkende Worte mit: Sie sollen sich nicht verstecken, sondern ihre Identität als gültig anerkennen und sich selbst als wertvolle Menschen akzeptieren. Abschliessend meint Esther: «Während des Studiums hatte ich die Befürchtung, dass ich als trans Mensch vermutlich nie einen adäquaten Job finden werde und ich dazu verdammt sein werde, mich mit einfachen Arbeiten irgendwie wirtschaftlich durchzuschlagen. Meine Befürchtungen haben sich überhaupt nicht bewahrheitet.»