Patricias Coming-out-Geschichte wirkt wie aus einem Drehbuch: Sie hatte im Vorfeld Ängste und viele Zweifel, die sich allesamt Schritt für Schritt auf ihrem Weg zu sich selbst in Luft auflösen werden.
Ihr Coming-out geht die erfolgreiche Berufsfrau mit 47 Jahren an. Sie ist als Fachspezialistin Verkaufsadministration seit 17 Jahren bei einem mittelgrossen Schweizer Unternehmen im Lebensmittelbereich angestellt. Ausgewählte Arbeitskolleg_innen wissen bereits seit mehreren Jahren, dass sie trans ist. Im Jahr 2018 hat sie dann die Gelegenheit, mit dem Direktor der Firma zu sprechen und sich ihm anzuvertrauen. Das Fazit des Direktors nach Patricias Ausführungen: «Wir sind im 21. Jahrhundert, das ist doch kein Problem. Du hast meine Unterstützung und meinen Rückhalt.» Mit diesem Erlebnis steht das Signal für Patricia auf Grün, wie sie es beschreibt. «Jetzt kann ich den Hemmschuh wegnehmen, jetzt kann der Zug anfangen über die gelegten Gleise und gestellten Weichen zu rollen.» Am selben Nachmittag wirft sie den Antrag für die amtliche Namensänderung für das Gemeindeamt in den Briefkasten. Mit dem bald darauf eintreffenden Entscheid für die Namensänderung steht das «grosse» Coming-Out im gesamten Geschäft an. Der Termin wird auf den Jahreswechsel gesetzt: Es gibt ein informierendes Mail an die Belegschaft am Freitag (formuliert von Patricia, versandt durch die Personalchefin) und am Montag, anlässlich des Neujahresapéros, erscheint Patricia zum ersten Mal als sie selber. Schon am Abend des Mails erreichen sie Gratulationen, am grossen Tag selbst geht sie zusammen mit Kolleginnen auf die S-Bahn. Auf der Eingangstafel wird sie dann mit folgendem Schriftzug begrüsst: «Willkommen in der Firma, Patricia.»
Mit diesem glorreichen Einstieg startet Patricia in einen zunehmend entspannter werdenden Arbeitsalltag. Sie empfängt wichtige Firmengäste und leitet Sitzungen. Sie stellt fest, dass sich nichts verändert hat, «die Leute hören immer noch auf mich.» Beflügelt kann sie sich seitdem voll auf ihre Arbeit konzentrieren. Als die grösste Herausforderung beschreibt sie das Überwinden des inneren Schweinehundes. Patricia hatte Angst vor Ablehnung, Ausgrenzung, Diffamierung, Isolation und Beleidigungen. Nichts von dem ist eingetreten. Dazu meint Patricia, dass die Dämonen erst weggehen, wenn «du erlebt hast, dass ein Coming-Out funktionieren kann» . Die Freude ist dann unbeschreiblich.
Heute muss sich Patricia nicht mehr verstecken, sie muss das Glashaus, das sie vor sich hergetragen hat nicht mehr vor neugierigen Blicken oder Steinen schützen, wie sie es selber formuliert. Anderen trans Menschen möchte sie mit auf den Weg geben, dass es sich lohnt, den Mut zu haben, zu sich selber zu stehen. Sie findet, trans Menschen dürfen auf Anstand und Akzeptanz hoffen, aber es ist wichtig, sich nicht zu schnell enttäuschen zu lassen. Patricia bewertet ihr Coming-Out auf einer Skala von eins bis zehn mit einer 12. «Ich bin im Leben angekommen.»
(Die Bilder dieser Story wurden freundlicherweise von Lucia Hunziker erstellt.)