Kurz nach ihrem Coming-out feierte Sabina ihr 35-jähriges Jubiläum in ihrem Unternehmen. Ihre Geschichte beginnt, als sie an einem Tag im Sommer 2018 zum ersten Mal als Frau zur Arbeit erscheint.
Privat hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt schon länger als Frau gelebt und stets befürchtet, dass die Mitarbeitenden ihres Unternehmens etwas von ihrem Doppelleben mitbekommen. Ihrem Chef vertraute sie sich aber bereits eineinhalb Jahre vor ihrem Coming-out an: «Um zu sondieren und zu schauen, ob es überhaupt möglich ist». Nachdem ihr Chef zunächst aus allen Wolken fiel, verlief das Gespräch sehr positiv. Bei einem weiteren Gespräch zu Beginn des Jahres 2018 äusserte Sabinas Chef erstmals Bedenken, die sich aber wieder legten. Sie fühlte sich dennoch nicht in der Lage, weitere Schritte zu unternehmen. Zu gross waren ihre Ängste und auch ihre Arbeitssituation war unsicherer geworden: «Also wartete ich ab». Im Juni 2018 ging es dann schnell: Sie informierte ihren Chef und zusammen haben sie das weitere Vorgehen geplant.
Aus heutiger Sicht empfindet Sabina ihr Coming-out am Arbeitsplatz als sehr befriedigend. Als schönsten Moment beschreibt Sabina ihren ersten Arbeitstag, an dem sie, mit einer Bluse und einem Jupe bekleidet, ihrem Team mitteilt: «Ich bin die neue Mitarbeiterin». Doch war der Entschluss zum endgültigen Coming-out eine grosse Mutprobe für sie, den sie fast ein halbes Jahr hinausgezögert hat. Da sie mit sehr vielen Personen in Kontakt ist, seien die Coming-outs immer wieder herausfordernd. Um dies positiv zu beeinflussen, hat sie ein persönliches Informationsschreiben an alle 120 Mitarbeitenden verfasst, in dem sie ihre Situation beschreibt.
Sabinas Chef ist sehr positiv mit ihrem Coming-out umgegangen. Einzig die erneute Nachfrage nach ihrem Befinden, die sie gemeinsam mit ihrem Chef vereinbart hatte, vermisst sie. Besonders schön war für Sabina, als ihr Chef sie anlässlich ihres Jubiläums zum Essen einlud. Während zweieinhalb Stunden haben die beiden über alles Mögliche gesprochen und die Bedenken ihres Chefs, der sie zum ersten Mal als Frau erlebte, waren danach verschwunden.
Sabina hat vor dem Coming-out immer wieder unter ihrem Doppelleben gelitten. Wenn sie beim Händewaschen in den Spiegel blickte, dachte sie: «Ich bin das nicht. Ich sehe einen Mann und fühle mich immer mehr als Frau». Heute ist das nicht mehr der Fall. Sabina hat den Eindruck, dass ihr die Arbeit leichter fällt als vorher.
Anderen trans Menschen rät Sabina, sich die nötige Zeit zu nehmen und schrittweise vorzugehen. Immerhin hätte sie ein Stellenverlust mit 58 Jahren ziemlich stark getroffen. Weiter empfiehlt sie Gespräche mit Personen, die ihr Coming-out am Arbeitsplatz bereits hinter sich haben. Zum Abschluss sagt Sabina: «Allerdings geht es nicht nur um die Arbeitswelt, sondern darum, in allen Bereichen als Frau zu leben und wenn nötig auch dazu zu stehen, trans zu sein».